Inside Tokyo #9

10.08.2001 

ANA Sukaihoride - eine japanische Pauschalreise
 
Seitdem ich mir Japan mal etwas näher auf der Landkarte angesehen habe, und im Wetterbericht immer so ein paar kleine Tupfer neben den Hauptinseln Japans durch einen Strich abgetrennt auftauchen, reizte mich ein Besuch von Okinawa. Dieser Wunsch wurde dann während der Sprachschule durch viele Beispielsätze weiter gefestigt und nun schien die Zeit reif, sich diese südlichste Inselgruppe Japans, die schon in Fernsehempfangsnähe zu Taiwan liegt näher anzusehen.

Unter Japanern beliebt als Heiratsinsel ist Okinawa von er Bedeutung her eher als Mallorca Japans einzuordnen, so dass ich also beim Vorbeilaufen im Reisebüro keine Probleme hatte, Prospekte abzugreifen. Schnell entschloss ich mich eine "pakutsua" , wir würden sagen "Package Tour" zu buchen, denn die Prospekte überzeugten durch eine unendliche Farbigkeit und Frische. Besonders auffällig war, das in so manche Prospekt nur schöne Frauen im Bikini bekleidet abgebildet sind, lediglich einen männlichen Koch konnte ich irgendwo in einer "Nebenrolle" entdecken. Bei uns würden solche Prospekte glaube ich schon in den entsprechenden Ecken des Zeitschriftenkiosks verkauft werden können. Davon ließen sich mein Reisebegleiter Björn und ich nicht wirklich blenden und wir wurden schließlich im ANA Prospekt fündig. Also jedenfalls waren dort schöne Hotel und halbwegs akzeptable Preise abgedruckt. Nach einer Weile des Entschlüsselns mussten wir dann erstaunt feststellen, das man in Japan die Urlaubslänge anders als in Deutschland bestimmt: Da gab es keine Spalte für eine, zwei oder gar drei Wochen, nein, man kann auswählen, ob man drei, vier oder fünf TAGE Urlaub machen möchte. Wenn man sich für drei Tage entschließt, so beinhaltet das aber nur zwei Nächte, was man in der japanischen Sprache auch immer gleich dadurch ausdrückt, dass man beim Bestellen sagt: Bitte xTage, x-1Nächte. Damit ist dem Image der immer arbeitenden Japaner auch wieder ein Stück hinzugefügt, denn bei diesen Ultrakurzurlauben handelt es sich in den meisten Fällen ja um den Jahresurlaub eines japanischen Arbeitnehmers. Wir entschlossen uns also für die Lösung 5Tage-4Nächte, die längste buchbare Reise mit diesem Angebot. Das unser "pakutsua" neben Flug und Hotel auch noch den Bustransfer enthielt ist ja inzwischen weltweiter Standard, zu diesem Zeitpunkt also nichts besonderes.

So machten wir uns also an unserem ersten Reisetag früh morgens um 7 auf in Richtung Flughafen, wo unsere Sukaihorides (japanisch für Sky Holidays) beginnen sollten. Zunächst hatten wir noch etwas bedenken, ob es denn auch reichen würde, knapp 45 Minuten vor dem Flug am Flughafen anzukommen, doch schnell wurden wir beim Betreten des Gebäudes eines Besseren belehrt: "Jetzt Serviceverbesserung! Sie müssen nicht mehr 15 Minuten vor dem Flug da sein, es genügt auch 10 Minuten vorher!" Da waren wir natürlich baff, denn es handelte sich nicht um das Einsteigen am Gate, sondern wohlgemerkt um den ersten Kontakt am Flughafen, also noch bevor man das Gepäck eincheckt, was in Japan auf Inlandsflügen üblicherweise an einem separaten Schalter erfolgt, weil viele Reisende gar kein Gepäck einchecken. Wir waren also baff erstaunt, hätten wir doch fast eine ganze Stunde länger schlafen können.
Aber der angenehme Service ging gleich weiter: Nachdem mein Gepäck durch den Filmsafe gelaufen war, bückte ich mich, um meine Zeitung aus dem Seitenfach zu holen. Noch bevor ich mich wieder aufrichten konnte, hielt mir schon ein zuvorkommenster ANA-Mitarbeiter eine offene Papiertragetasche entgegen, in die ich meine Zeitung stecken durfte. Ich war zunächst erschrocken, dann erstaunt und erfreut. Weiter ging es dann durch die üblichen Sicherheitsschecks, die von besonders perfekt uniformierten Damen und Herren ausgeführt wurden. Mich erinnert das einerseits an Playmobil, andererseits wie bei den Bösen in den James Bond Filmen, die auch immer durch perfekte Uniformität glänzen. Am Gate angekommen staunten wir gleich weiter, schließlich sollten wir zu unserem Urlaubsflug nach Okinawa mit einem Jumbo fliegen, na ja, Individualität hatten wir wohl nicht gebucht, das hätten wir uns denken können, aber das bei 8 Flügen nach Okinawa am Tag gleich solche dicken Dinger eingesetzt werden, überraschte uns dann doch.

Wie durch ein Wunder konnten wir trotz der erwähnten minimalen Vorlaufzeit in einem restlos voll besetzten Flieger pünktlich zur Startbahn rollen. Der Kapitän entschuldigte sich noch (Japantypisch) dafür, dass wir solange warten mussten, obwohl gar kein Grund dazu bestand. Schon während dem Rollen spürten wir regelmäßig eine gewisse Erschütterung, der Flugkapitän steuerte den Jet also zielsicher über jede in der Rollbahn eingelassene Lampe. Dies setzte sich dann auch auf der Startbahn fort und wir fragten uns, wie er das nur so perfekt hinbekam; so malten wir uns schon die internen ANA-Meisterschaften aus, bei denen der Pilot siegt, der beim Starten die meisten Lampendeckel überfährt, so wie bei einem Pac-Man-Spiel. Glücklicherweise hoben wir aber doch ab und der Flug wurde mit gewohnter Perfektion durchgeführt, während wir abermals den göttlichen Blick auf den schneefreien Fuji-san genießen konnten. In Naht, der Hauptstadt angekommen mussten wir zunächst erkennen, dass der halbe Flughafen voller Jumbos war, während die kleineren Flugzeuge nur für die "Weiterverteilung" auf die Nachbarinseln zuständig schienen. Schon im Flughafen machte sich die Urlaubsstimmung breit, überall gab es Hawaiihemden zu kaufen und Ananas wurde angeboten.

Kaum hatten wir unsere Koffer wieder wurden wir auch schon von einer säuselnden Damenstimme ausgerufen (gottseidank habe ich sie irgendwie verstanden) und wir wurden auf die noch verbleibende Busfahrt vorbereitet, unter anderem fürsorglich gefragt, ob wir nochmals die Toilette aufsuchen möchten, wir würden anschließend zwei Stunden Busfahren. Beim Einsteigen in unseren Bus wurden wir dann gleich vom Busguide, besser von der schicken jungen Dame, die man am besten mit dem Begriff "Busblume" umschreibt, begrüßt, die uns dann in höflichster Sprachstufe diverse Informationen zukommen lies. Auch wenn wir dieser Vorstellung Nahas gerne lauschten, ist doch ein Verstehen fast gänzlich ausgeschlossen, allein aufgrund der höflichen Verbformen und -stämme.
Am Nachmittag erreichten wir dann The Busena Terrace Resort, das herrlich auf einer Halbinsel gelegene Hotel, in dem im letzten Jahr der G8 Gipfel der Regierungschefs stattfand. Nachdem wir unser Zimmer in einen Kühlschrank verwandelt hatten, beendeten wir den ersten Urlaubstag mit einem Open-Air-Diner während des Sonnenuntergang mit Blick auf den Strand, der direkt zu unseren Füssen lag.

Über die allgemeinen Annehmlichkeiten eines Luxushotels am Stand brauche ich glaube keine Anmerkungen zu machen, bemerkenswert anders ist es am Strand aber schon mit den Japanern, sind doch die Badeanzüge alle entweder rosa/pink-kinderfarben oder im uptodaten Leoparden-Look. Ganz stark ist diesen Sommer in Tokyo auch der Tarnfarben, besser Camouflage-Look, der sich natürlich auch in den Bikinis in Okinawa fortsetzt. Damit die modischen Stoffteile auch richtig zur Geltung kommen wird alles mit entsprechenden Instant-Cameras festgehalten, die es hier in Japan sogar am Automaten und in Urlaubsregionen auch in der Wasserfest-Variante zu kaufen gibt. So entstehen pausenlos Posenbilder und aller Orte hört man "Hai, Cheeeeeeeese" bevor auf den Auslöser gedrückt wird.
Nachdem wir uns zunächst mal einen zünftigen Sonnenbrand zugezogen hatten, haben wir es in den nächsten Tagen vorgezogen, die heile Pärchen- und Jungfamilienwelt unseres Resorts zu verlassen, um die Insel, die ja auch historisch nicht uninteressant ist, zu erkunden. Doch halt, eben wollen wir uns einen Busplan besorgen, da werden haufenweise weiße Blumen in der zum Strand hin durchlässigen Lobby bewegt, der rote Teppich ausgerollt und eine Glocke aufgebaut. Wir hatten also Gelegenheit, eine echt "japanische" Hochzeit mitzuerleben, die trotz Schintoismus und Buddhismus am liebsten nach westlichem Muster in weiß stattfindet. Und so fuhr dann auch schon die Stretch-Limo vor, die Braut stieg aus, und die Hochzeit in der Hotellobby nahm unter den Augen vieler Zuschauern in Badelatschen und -mänteln ihren Lauf. Begleitet von jeder Menge Hightech aus dem Bereich der Bildverarbeitung, wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, das in Japan häufig die Frauen die Bildregie hinter den Video- und Digitalkameras führen. Nun erkannten wir die hohe Komplexität der japanischen Ferienwelt erst richtig: 3 Tage Urlaub machen, mit Familie und währenddessen auch gleich heiraten; die Flitterwochen, Entschuldigung: -tage sind auch schon mit drin, Franz Beckenbauer hätte es nicht besser ausdrücken können.
Aber The Busena Terrace ist auch ein guter Ort für Corporate-Events: So konnten wir beobachten wie etwas fernab der Poolwelt unter einem Sonnenzelt eine ganze Firmenbelegschaft im Einheitshawaiihemd kollektiv locker und ungezwungen auf den neuen Firmenkurs mit "Bansai" Rufen eingeschoren wurde, während der Shacho (Firmenschef) auf einem Golfkart zur Bühne fährt. Alles lacht, das Bier und der Sake fließen ebenfalls reichlich, da muss das Kimochi, zu Deutsch die Stimmung ja gut sein.

Aber wir wollten uns ja gerade auf machen, die Insel zu erkunden, da begegnen wir einem typischen japanischen Reiseproblem: Freundlicherweise hat man ja an die werten Gäste im Ausland gedacht und hält auch diverse Broschüren und Karten in Englischer Sprache bereit, nur ergeben sich daraus in der praktischen Anwendung diverse Schwierigkeiten, die trotz gewisser Japanischkenntnisse unsererseits, oder gerade deswegen, auftauchen. Wir steigen in den normalen Linienbus, ziehen eine Nummer und fahren los. Um aber herauszufinden, wo man aussteigen will, muss man immer auf die Haltestellenanzeige im Bus starren, auf der digital die japanischen Kanji angezeigt werden, die natürlich nicht auf der rein-englischen Touristenkarte vermerkt sind. Bilingual wäre also der Schlüssel, denn über die Ansage im Bus kann man auch nicht immer den gewünschten Namen heraushören, wird doch bei den vollautomatischen Ansagen auch für regionale Kneipen und Biere geworben. So waren unser Köpfe also voll im Einsatz während wir mit einem Bus fuhren, der uns ansonsten doch etwas an, na sagen wir Jamaika erinnerte. Mit zunehmender Verfeinerung unseres Systems gelang es uns auf diese Weise das American Village zu besuchen, was komplett im Stil einer amerikanischen Shopping Area errichtet ist und jüngst durch die Vergewaltigung durch einen amerikanischen Militärangehörigen in die Schlagzeilen kam. 20 % der Fläche Okinawas sind nämlich amerikanische Militäranlagen, das amerikanische Militär ist dort mit allen Waffengattungen vertreten und startet von Okinawa aus alle Operationen in Süd-Ost-Asien, wie z.B. auch den Aufklärungsflug Richtung Heinan, China zu Beginn des Jahres. Kulturell hat sich so eine interessante Mischung ergeben, überall gibt es riesige amerikanische Autohändler und Military-Shops, die diesen Sommer aufgrund der Mode Hochkonjunktur haben dürften. Auch A&W bietet in 23 Drive-In Restaurants das beliebte Root-Beer und die entsprechende Menüauswahl an.
Im Süden von Naha haben wir dann die unterirdische Kommandozentrale der japanischen Marine während des Zweiten Weltkriegs besichtigt, wo die Japaner sich auch dann noch versteckt hielten und kämpfen wollten, als die ganze Insel schon besetzt war. Auch gibt es im Süden die legendären Höhlen und Abhänge, in denen es reihenweise Massenselbstmorde gab, um nicht den Amerikanern in die Hände zu fallen, nachdem der Bevölkerung vom japanischen Militär eingeredet worden war, diese würden besonders brutal und unmenschlich sein.
Hoch über Naha thront das Shurijo, die Burg aus dem Zeitalter, als von hier aus die Ryukyus ein eigenes Königshaus unterhielten, das starke Verbindungen zu China hatte.

So vergingen unser Urlaubstage wesentlich schneller, als uns lieb war und im nu wartete auch schon unser blauer ANA Sukaihoride Bus vor dem Hotel, um uns unter dem Decknamen "Se Painapuru, auf englisch vielleicht "The Pineapple" noch zu einer abschließenden Inselrundfahrt einzuladen, bevor wir zum Flughafen gebracht würden. Es stand also eine Rundfahrt durch den nördlichen Teil der Insel mit diversen Zwischenstops, z.B. bei einer Ananasfarm an. Ananas ist eine der Spezialitäten Okinawas, so dass diese hier besonders lecker und frisch und zudem auch deutliche preiswerter als Wassermelonen sind.
Nachdem unsere Busblume uns höflichst begrüßt hatte, begann sie mit der Einführung. Dazu wurde zunächst eine Sperre in den Gang des Busses ausgezogen, so dass sie uns zugewandt sprechen konnte, ohne in Richtung Windschutzscheibe zu fallen. Durch eine zweite Teleskopstange wurde unsere Reiseleiterin dann auch noch dahingehend fixiert, dass sie nicht nach hinten fallen konnte. (Am besten zu betrachten auf den Bildern im Internet). So fixiert konnte ihr auch die härteste Bremsung nichts anhaben, immer stand sie am "Rednerpult" und unterrichtete uns über das zu Sehende. Dabei wurden wir dann in Schulklassenmanier alle mit in den Dialog mit einbezogen, z.B. bei der Schnellvorstellung der Okinawanischen Küche. Vollends verschlug es uns aber die Sprache, als Frau "Busguide" aus voller 18-jähriger Kehle anfing traditionelle Lieder Okinawas ins Mikrofon zu singen. So sollte also Landeskundeunterricht in Japan aussehen. Auf diese Weise machten wir also ungefähr 5-6 Zwischenstopps alle auf die Minute getimed, einschließlich einer leckeren Ananasprobe und dem obligaten Gang durch den Omiyageshop, wo Japaner normalerweise Geschenke als Reisemitbringsel kaufen, um schließlich pünktlich abends in Naha anzukommen, von wo aus wir dann in einem lustigen Ferienflieger wieder die Heimreise ins hektische und naturärmere Tokyo antraten - natürlich wieder mit einer Check-in Vorlaufzeit von 10 Minuten!

 
Hier gibt es die Bilder zur Geschichte.

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