Inside Tokyo Extra
(Dank an Anke Bloechl)

02.05.2001 

Leader oder Follower - Mode in Japan
 
Eine Bekannte von mir, Anke Bloechl war nun für ein halbes Jahr in Tokyo um hier ein Praktikum zu absolvieren. Auch sie hat ihre Beobachtungen und Erlebnisse niedergeschrieben - vor einiger Zeit zum Thema Mode. Da ich dieses Thema auch schon bearbeiten wollte, möchte ich Euch/Ihnen diesen Bericht leicht gekürzt mitteilen:

"So hab ich auch mal einige meiner tagtäglichen Beobachtungen für Euch aufgeschrieben - diesmal meine „Expedition" in die Welt der aktuellen japanischen Modetrends.....

Die Sonne scheint, es wird langsam Frühling in Tokyo und damit auch die Klamotten wieder bunter, das winterliche japanische Einheits-Schwarz-Grau-Blau-Braun aus Omas Altkleiderkiste mit vereinzelten schüchternen Farbtupfern in Hellbau oder Lilatönen (meist als Edelschal von Gucci-Fendi-MaxMara-Chanel -und-wie-sie-alle-heißen) bekommt auffallend frische und ziemlich gewagte Konkurrenz - und das nicht nur bei den sowieso nicht zu übersehenden Shibuya-Girls im Glamourlook. Der absolute Hit für die Japanerin, die was auf sich hält, sind derzeit ganz wilde Kombinationen a la Mottenkiste oder Flohmarkt. Frauen stolzieren hier in röhrenförmigen Hochwasserhosen (ich weiß nicht, ob man die als Capri, 5/8 oder 7/10 bezeichnet, auf jeden Fall sind sie zu kurz!) oder in hauchfeinen Röckchen durch die Gegend. Diese sind bisweilen eher in der Größe eines zu breit geratenen Hüftgürtels (wie immer in Japanese Size only), am liebsten im Indienlook in Schwarz mit erdfarbenen Ethno-Mustern, Fransen oder Lochoptik oder glänzende (Vollpolyester-)-stöffchen in Knalllila, Himmelblau oder auch mal Neonpink - abends oder im Büro natürlich auf edel getrimmt im üblichen Schwarz-Grau-Blau-Braun. Aber auch Omas alte bunte Häkelkissen-Sessel-Schoner kommen hier wieder voll zur Geltung, diesmal zusammengenäht als bodenlange Schlauchröcke in allen Regenbogenfarben - allerdings hab ich die Dinger auch schon als Mützen im Winter sehr bewundert.... Dazu ein absolutes Muß sind die guten alten Netzstrümpfe, ebenfalls aus Urgroßmutterszeiten. Die gibt es allerdings nicht mehr nur in sexyschwarz oder nuttenrot, sondern ebenfalls in allen Bonbonfarben zu bekommen. Besonders gewagt ist auch, die Dinger in der Variante der Netzkniestrümpfe zu tragen, dann werden die (furchtbar verschrammten und derzeit meist noch blaugefrorenen!) Knie und die unbeschreiblichen O-Beine der meisten Japanerinnen erst richtig gut betont. Damit die Kombination auch vollendet aussieht, gehören dazu auf jeden Fall kleine Lacksandälchen, die die hohen Stiefel oder Öko-Enten-Treter vom Winter nun endgültig ablösen. Diese Schühchen gibt es ebenfalls in diversen heißen Farbkombinationen, Raubtier-/Schlangen-Mustern oder neckisch dekoriert mit Seidenblümchen, Minifederboas oder Straßsteinchen - mit mindestens 10 cm hohen Pfennig - oder besser 1Yen-Absätzen, entweder mit schmalen Fesselriemchen oder ganz schlicht ohne - quasi als Hauspantöffelchen auf Stelzen.

Nachdem die Frauen mit ihren super engen Röckchen und dank ihrer O-Beine auch alle über ihren großen Onkel (sprich Zeh) laufen, bewundere ich täglich, wie die Mädels im schnellen Trippelschritt über Bordsteinkanten, Gullideckel und Rolltreppen staksen ohne pausenlos zu stolpern und sich dabei der Männerwelt der ganzen Länge nach vor die Füße zu werfen.... Sie haben eigentlich auch gar keinen Blick für die Straße, denn sie haben das passende pinkfarbene oder getigerte Handy garantiert immer am Ohr oder wenigstens in der Hand, zum hektischen SMS-Tippen oder sie sind voll konzentriert und in ihr Spiegelbild des Komplett-Mini-Schmink-Sets vertieft, den passenden zartlila Lidstrich überprüfend..... Wahrscheinlich ist Euch schon aufgefallen, daß ich oft in der „Niedlichkeitsform" schreibe - anders würde ich aber einen völlig falschen Eindruck erwecken - zierliche Sandälchen in Schuhgröße 37 sind hier schon Gozilla-Monstertreter und bei den Kleidergrößen hab ich schon längst aufgegeben - Japanese Size Klamöttchen bekommste bei uns in Deutschland nicht mal in der Kinderabteilung..... ich frage mich nur, warum so wenig Stoff so teuer sein muß.... Dabei wäre es aber falsch zu sagen, die Frauen hier sind einfach alle so klein und zart - man sieht auch immer mehr richtig große Japanerinnen, aber bei denen hat sich dann meist die Körpermasse von 1,50 m auf 1,80 m umverteilt, d.h. die sollten bei einem Taifun lieber zuhause bleiben oder einen Life-Belt benutzen, um sich irgendwo festzubinden, damit sie nicht wegfliegen....... Das andere Extrem sind Schulmädels im Teenie-Alter. Da sind mittlerweile bestimmt mehr als die Hälfte echte Wonneproppen mit Krautstampfern, täglich gefüttert mit Bergen von Burgern, Cola, Shakes and Donuts. Sie quellen förmlich aus ihren „niedlichen" blauen Matrosen-Schuluniförmchen. Aber auch darauf hat sich die Modeindustrie Japans anscheinend schon eingestellt und produziert die blauen oder grünen Faltenröckchen (z.T. im besonders schlankmachenden Schottenkaro), die Matrosenhemdchen mit Krawatten oder Schleiferl, die Marineblazerchen mit Schulabzeichen und die weißen Zieharmonikakniestrümpfe auch in 4L Size. Anmerkung: Habe grade hier im Büro bei Daimler erfahren, daß die maximale Nutzlast eines Personenkraftwagens, d.h. also die maximale Anzahl von erwachsenen Personen, die in einem solchen gleichzeitig befördert werden dürfen, hier in Japan mit maximal 55 kg pro Person angegeben wird..... da ist irgendwie jeglicher weiterer Kommentar überflüssig! (Anke hat bei einem namenhaften deutschen Automobilbauer in der Nutzfahrzeugabteilung Praktikum gemacht; Anm. d. Red.)

Nachdem ich ja nun doch dem weiblichen Geschlecht angehöre und ich mich bisher nur über den Kleidungsstil anderer Frauen ausgelassen habe, werden sich sicher schon einige fragen „ja, und was ist mit den vielen hübschen japanischen Männern???? Nun, ich hab ja täglich genug von der männlichen Spezies um mich rum, denn das Autogeschäft ist auch hier in Japan noch immer eine Domäne, in der Frauen höchstens fürs Sekretariat, die interne Buchhaltung oder die Auftragssachbearbeitung gut genug sind - auf die japanischen (meist männlichen) Kunden werden sie (leider!) nicht losgelassen, das machen alles die richtig kernigen Jungs - oder die, die sich wenigstens dafür halten! Als kleine Jungs im Grundschulalter mit super kurzen Shorties (auch im Winter!), Stoffturnschuhen, Matrosenblazer, Dufflecoat (den einige sogar noch viele Jahre später als Berufstätige tragen - und dabei immer noch aussehen wie die Schulbuben) und unbeschreiblich dämlichen knallgelben Sonnenhütchen Marke „ABC-Schütze" mit Sicherheitsschleifchen ums Kinn gebunden finde ich sie noch irgendwie süß, aber als Erwachsene..... Was ich bisher so feststellen konnte, sind die meisten Männer echt arme Schweine in Sachen Mode, sie haben einfach Null Geschmack, was aber vielleicht doch genetisch bedingt ist (auch viele deutsche Männer neigen ja dazu....). Dazu kommt noch, dass sie entweder Junggesellen und/oder völlige Workaholics sind, die nie Zeit für einen Stadtbummel zum Einkleiden haben oder die Notwendigkeit einfach nicht einsehen (aber wie wollen Singlemänner dann bitte eine Frau zum Heiraten finden???). Oder schlimmer noch, sie haben bereits Ehefrauen, die aus Eifersucht ihre Ehemänner in so gruselige Klamottenkombinationen stecken, dass sie ja von keiner anderen angeschaut werden und sie keine Chance zum Seitensprung bekommen. Was ich so täglich in der Bahn bei den typischen japanischen „Salarimen" sehe, ist so was von spießig und fad, der dunkle Anzug dominiert die Szene, allerdings neben dem klassischen blauen oder antrazithfarbenen auch der ordinär kackbraune aus pflegeleichtem Vollplastik. Dazu gibt's oft Einmalhemden (die gibts hier tatsächlich an vielen Bahnhöfen und Convenience-Stores!!) oder Billigvarianten, bügelfrei und knitterarm, dafür sehr geruchsempfindlich weil aus Kunstfaser..... Ein - eigentlich ganz schnucklig aussehender - netter junger Kollege trägt besagte braune Anzüge auch immer kombiniert mit einem GELBEN Hemd..... da krieg ich sofort ne akute Augenentzündung, wenn ich den sehe (aber er ist verheiratet - q.e.d. was zu beweisen war!!!).

Die Krawatten sind meist ebenfalls die Katastrophe, natürlich passend in aufdringlich unaufdringlichen Streifenmustern oder Punkten in sämtlichen Braunschattierungen. Meine Kollegen bevorzugen im Büro statt einer schicken Anzugweste oft auch noch Strickwesten oder Pullunder, ebenfalls todschick! An den Füßen blitzen auch hier manchmal WEISSE Tennissocken unter der Hose vor und stecken oft in ausgelatschten, ungeputzten, an den Fersen runtergetretenen SLIPPERN. Die sind hier in Japan so üblich, weil praktisch, wenn man schon ständig überall die Schuhe ausziehen muß - wär ja für die Männer auch irgendwie peinlich, wenn sie sich nach dem abendlichen gemeinschaftlichen Besäufnis in die eigenen Schuhe kotzen, weil sie sich zum Schnürsenkel-Zubinden so weit runter bücken müssen....) (...)

Natürlich gibt es auch hier in der Stadt die großen, gutaussehenden, langhaarigen Künstlertypen im schwarzen Armanilook, einige augenscheinlich zur Jakuza-Familie gehörende japanische Mafiabosse (einen seh ich fast täglich auf dem Weg zur Arbeit - er trägt schwarz-weiße Schuhe, einen besonders taillierten Tweedanzug und einen Al Capone Hut), Abkömmlinge von Bob Marley mit Rastalocken und Reggae-Outfit, Hip-Hopper, Rapper und Raver-Typen mit blond gefärbtem Strubbelkopf und zerrissenen Armyklamotten, oder auch stilvoll gekleidete Yuppies im dunkelblauen Boss-Anzug (sicher ein deutsches Reisesouvenir aus dem großen Outlet-Store im Schwäbischen....), nach denen ich mich auch mal umdrehe, aber insgesamt bin ich - und das nicht nur vom Kleiderstil - doch recht desillusioniert was die japanische Männerwelt so angeht. Aber ich hatte sowieso nicht vor, mir hier einen zu angeln, auch wenn meine Eltern und Freunde schon auf den kleinen japanische Sumoringer oder Buddha warten, den ich im Handgepäck einschmuggle....."

Anke Bloechl

 

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